26. September 2012

Dr. Hans Künzle
Die Kunst der Führung

Wie CEO Dr. Hans Künzle aus alten Stärken neue Ideen macht und nebenbei das Eigenkapital der Versicherungsgruppe Nationale Suisse um fast 50 Prozent gesteigert hat.

(Text), Marc Schäfer (Foto)

Eigentlich ist der Doktor der Rechtswissenschaften ein Handwerker. Zumindest nach eigenem Verständnis. Denn für CEO Dr. Hans Künzle hat der Slogan «Die Kunst des Versicherns» eine besondere Bedeutung: «Kunst ist einerseits Handwerk, andererseits auch sehr emotional. Wir wollen perfektes Versicherungshandwerk mit Begeisterung, Engagement und Freude verbinden.»

Kunst ist ein zentrales Thema im Hause. Es gibt den jährlich verliehenen Kunstpreis, die spezielle Kunstversicherung und in jedem einzelnen Mitarbeiterbüro hängt ein anderes Kunstwerk aus der rund 70-jährigen Sammlung. Die Zuordnung der Werke erfolgt nicht etwa nach dem Zufallsprinzip, sondern in einem höchst individuellen Auswahlprozess, in dem Kurator und Mitarbeiter sich damit auseinandersetzen, welches Bild zu welcher Persönlichkeit passt. Für Künzle ein Zeichen der Wertschätzung für die Mitarbeiter und ausserdem Anlass für interessante Gespräche: «Manchmal denke ich, das Bild passt überhaupt nicht zu diesem Mitarbeiter. Dann beginnt man darüber zu sprechen und erfährt plötzlich, was die Person gerne hat und was sie neben dem Beruf interessiert. Das hat mich oft erstaunt.»

„Mut zu haben,
das Strom-linienförmige
zu verlassen.“

Nichts bringt mehr Leistung als Motivation und Freude

Der Austausch mit seinen Mitarbeitern ist dem 51-Jährigen generell wichtig. Tatsächlich bestünden 50% seiner Führungsrolle darin, Fragen zu stellen, so Künzle. Seinen Führungsstil beschreibt er als fördernd und fordernd. Was er fordert, ist Professionalität und Kompetenz, was er fördert ist Individualität. «Fördern heisst für mich, jeden Einzelnen auch aufzurufen, das zu machen, was er kann. Ich finde es viel wichtiger, die Stärken eines Mitarbeiters zu fördern, als Schwächen zu eliminieren. Denn nichts bringt mehr Leistung als Motivation und Freude.» Sich selbst sieht erdabei als «Katalysator» für die Mitarbeitenden. «Ich gebe ihnen den Raum und die Handlungsinstrumente, damit sie ihre Funktion erfüllen und sich entfalten können, und räume auch einmal Hindernisse aus dem Weg. Es gibt ja das Führungsverständnis, bei dem der Chef mit dem grossen Schild voraus rennt und alle rennen ihm nach. Das ist nicht meins.» Stattdessen setzen er und die Organisation auf den «Mut zum eigenen Weg». «Diesen Mut zu haben, bedeutet, das Stromlinienförmige zu verlassen und sich dort hinzubewegen, wo der grösste Mehrwert erreicht werden kann. Um damit Erfolg zu haben, braucht es erfahrungsgemäss die nötige Überzeugung, Ausdauer und Geduld.»

Diese Geduld zahlt sich jetzt aus

Seit gut einem Jahr sind konkrete Resultate aus dem 2005 eingeleiteten Turnaround und der strategischen Neupositionierung des Unternehmens sichtbar. Damals hat der CEO die mittelgrosse Versicherung ganz speziell positioniert. Heraus kam eine Strategie, die auf zwei Pfeilern fusst: den Specialty Lines – hoch spezialisierten Versicherungslösungen z.B. für Infrastrukturprojekte, Transporte oder Kunst – und dem weiteren Geschäft, das Nationale Suisse mit einer eng definierten Zielgruppenstrategie für ein gehobenes Privatkundensegment und spezifische Unternehmen verfolgt. «Ich glaube, diese Positionierung hat sonst niemand», so der Versicherungschef. Diese Suche nach Einzigartigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch seine Amtszeit. Künzle ist überzeugt: «Man meint, die Versicherungsbranche ist eine langweilige Branche, in der es schon alles gibt, aber man kann sehr viel neu und anders machen.» Ein Beispiel ist die in der Branche einmalige Zuwandererversicherung, mit der Nationale Suisse kürzlich den Innovationspreis der Assekuranzbranche gewonnen hat.

Alte Stärken neu entdeckt

Dass man allerdings nicht immer das Rad neu erfinden muss, zeigt ein Blick in die Vergangenheit der Versicherung: So lagen beispielsweise die Specialty Lines bereits in der Geschichte des Konzerns verborgen: gegründet wurde er nämlich als Transportversicherer. Auch Kunst wird schon seit 50 Jahren versichert und mit Engineering beschäftigt man sich seit 1906. «Wir haben versucht, alte Stärken, die geschlummert haben, wieder herauszuarbeiten», bestätigt der Konzernchef. Das Beste aus dem herauszuholen, was man hat – das ist wohl der zweite Führungsgrundsatz des CEO . Der Erfolg gibt ihm Recht: In den letzten Jahren hat Nationale Suisse ihr Eigenkapital fast um 50% gesteigert. Zum einen dank einer fokussierten Unternehmensausrichtung und zum anderen dank einer konservativen Anlagestrategie. Eine Strategie übrigens, die beweist, das Vorsicht und der «Mut zum eigenen Weg» sich nicht ausschliessen. Künzle beschreibt das als «Solidität mit Dynamik» und erinnert sich: «In den Jahren 2005–2007 haben einige gesagt, Ihr seid langweilig, geht keine Risiken ein, verschuldet euch nicht am Kapitalmarkt. Ihr seid eine unmoderne, unspektakuläre Gesellschaft. Diese Stimmen sind jetzt verstummt.» Erfolg will der Zürcher in Basel aber nicht um jeden Preis: «Es ist entscheidend für mich, dass ich mich in meinem Umfeld wohl fühle. Wenn ich das Vertrauen von Verwaltungsrat und Mitarbeitern nicht hätte oder in einem Neiderumfeld arbeiten müsste, könnte ich das nicht.» Fast könnte man da neidisch werden.

Innovationen sind Teil Ihrer Markenwerte. Wie unterstützen Sie deren Entstehung?

Ich glaube, eine wesentliche Voraussetzung ist, dass Führungswege kurz sind und man keine komplizierten Strukturen hat. Dann entsteht bald eine Eigendynamik und man muss die Sache nur noch laufen lassen.

Wie gehen Sie mit dem Risiko um, das nicht jede Innovation immer funktioniert?

Wer keine Fehler erlaubt, hemmt jeden Fortschritt. Ich muss selbst noch etwas mehr daran arbeiten, Fehler zu akzeptieren. Wenn Sie sieben Jahre lang CEO sind, sagt einem oft keiner mehr die Meinung. Da muss man dann schon selbst darauf achten, auf dem Boden zu bleiben.

Und wie schafft man das?

Ich engagiere Top-Leute, die auf gewissen Gebieten auch besser sind als ich. Ausserdem brauchtman einen Verwaltungsrat, dem man grossen Respekt entgegenbringt. Für mich bedeutet das, dass ich als CEO nicht Teil dieses Verwaltungsrats bin. Nur so wird er zu einem Gremium, das über mir steht und mich fördert und fordert. Corporate Governance, die Obermatt und andere neutrale Stellen immer fordern, finde ich sehr wichtig.

Wie fördert man rund 2'000 Mitarbeiter?

Ich sehe es als Aufgabe jeder einzelnen Führungskraft, ihre Mitarbeiter direkt zu fördern; für mich persönlich ist das vorab die Geschäftsleitung. Weiter haben wir für die nächsten Stufen beispielsweise gemeinsam ein International Executive Program initiiert, das alle durchlaufen. Ausserdem führen wir jährlich eine sehr intensive Senior Management Konferenz durch. Hier entstehen immer wieder prägende Momente. Das ist doch das Besondere an einem mittelgrossen Unternehmen: Wir ziehen alle an einem Strick. Und ich spüre das Unternehmen noch bis in die letzten Verästelungen.

Herr Künzle, wo sehen Sie sich in 10 Jahren?

Ich engagiere mich neben meinem Job als CEO noch karitativ. So bin ich im nationalen Komitee der UNICEF Schweiz und in der Behindertenstiftung MyHandicap. Irgendwann werde ich dieses Engagement sicher ausbauen und mich verstärkt darum kümmern.

Wofür sollte man, Ihrer Meinung nach, mal eine Versicherung erfinden?

Wenn man Dummheit versichern könnte, wäre das sicherlich ein Wachstumsfeld. Ob ich sie dann allerdings wirklich versichern wollte, ist eine andere Frage …

Erfahren Sie mehr über Dr. Hans Künzle von seiner Wikipedia Seite.